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Gericht: Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen
Beschluss verkündet am 19.04.2007
Aktenzeichen: 13 A 2975/06
Rechtsgebiete: VwfG, AMG, GG


Vorschriften:

VwfG § 25 Satz 1
AMG § 25 Abs. 4 Satz 1
AMG § 25 Abs. 4 Satz 4
GG Art. 12, 19 Abs. 4
Die Präklusionsregelung des § 25 Abs. 4 Satz 4 AMG ist mit dem Grundgesetz vereinbar.
Tatbestand:

Die Klägerin beantragte die Zulassung eines Arzneimittels. Die Beklagte lehnte die Zulassung ab, da die Klägerin die für eine Zulassung erforderlichen Unterlagen erst nach Ablauf der durch sie - die Beklagte - gesetzten Frist vorgelegt habe. Die hiergegen gerichtete Klage und der Antrag auf Zulassung der Berufung blieben ohne Erfolg.

Gründe:

Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Gerichtsbescheids des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Bei diesem Zulassungsgrund, der die Einzelfallgerechtigkeit gewährleistet und der ermöglichen soll, unbillige oder grob ungerechte Entscheidungen zu korrigieren, kommt es nicht darauf an, ob die angefochtene Entscheidung in allen Punkten der Begründung richtig ist, sondern nur darauf, ob ernstliche Zweifel im Hinblick auf das Ergebnis der Entscheidung bestehen. Ernstliche Zweifel sind dabei anzunehmen, wenn gegen die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nach summarischer Prüfung gewichtige Gesichtspunkte sprechen, d. h., wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung in der angefochtenen Gerichtsentscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.6.2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163; BVerwG, Beschluss vom 10.3.2004 - 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004, 838; OVG NRW, Beschlüsse vom 8.3.2007 - 13 A 1417/05 - und vom 8.1.2007 - 13 A 4307/06 und 13 A 3884/06 -.

In diesem Sinne bestehen - unabhängig von Bedenken gegen ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin - keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des VG. Das VG ist zu Recht davon ausgegangen, dass die Beklagte nicht aufgrund § 25 Satz 1 VwVfG gehalten war, die Klägerin zur Vorlage der Unterlagen nach dem EDMF-Verfahren aufzufordern. Nach § 25 Satz 1 VwVfG soll die Behörde die Abgabe von Erklärungen, die Stellung von Anträgen oder die Berichtigung von Erklärungen oder Anträgen anregen, wenn diese offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis unterblieben oder unrichtig abgegeben oder gestellt worden sind. Dabei richtet sich der Umfang dieser Betreuungspflicht nach den Umständen des Einzelfalles; maßgeblich sind dabei u.a. der Verfahrensstand sowie die Kenntnisse und Fertigkeiten des Antragstellers.

Vgl. Stelkens/Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2001, § 25 Rdnr. 20 m.w.N.

Danach war die Beklagte hier nicht gehalten, die Klägerin zur Vorlage der genannten Unterlagen aufzufordern. Die Beklagte hat ihrer Betreuungspflicht bereits dadurch Rechnung getragen, dass sie die Klägerin im Mängelbeanstandungsverfahren mehrfach aufforderte, die fehlenden Unterlagen bezüglich der Kontrolle der Ausgangsstoffe vorzulegen. Wenn sich die Klägerin nach Mängelbeanstandung und nach einem weiteren Hinweis nicht in der Lage sieht, vollständige Unterlagen bzw. einen vollwertigen Ersatz für solche Unterlagen vorzulegen, geht dies zu ihren Lasten. Hinzu tritt, dass von der Klägerin - einem großen börsennotierten Pharmaunternehmen - ohne weiteres erwartet werden kann, dass vollständige Unterlagen vorgelegt werden. Nach alledem kann dahinstehen, in welchem Verhältnis § 25 VwVfG zum arzneimittelrechtlichen Mängelbeanstandungsverfahren steht (vgl. insoweit den Vorbehalt "soweit" in § 1 Abs. 1 VwVfG) und zu welchen Folgen eine Verletzung von § 25 Satz 1 VwVfG im vorliegenden Fall führen würde.

Das VG ist zu Recht auch davon ausgegangen, dass vorliegend die Vorschrift des § 25 Abs. 4 Satz 4 AMG Anwendung fand. Nach § 25 Abs. 4 Satz 4 AMG ist nach einer Entscheidung über die Versagung der Zulassung das Einreichen von Unterlagen zur Mängelbeseitigung ausgeschlossen. "Unterlagen" im Sinne dieser Vorschrift sind alle Unterlagen die im Rahmen der Zulassung vorzulegen sind (vgl. §§ 25 Abs. 5 Satz 1, 22 AMG).

Vgl. Anker, in: Deutsch/Lippert, Kommentar zum Arzneimittelgesetz, 2. Aufl. 2007, § 25 Rdnr. 13. Siehe auch Brixius/Schneider, Nachzulassung und AMG-Einreichungsverordnung, 2004, S. 134 f.

Eine Reduzierung des Unterlagenbegriffs auf solche Unterlagen, deren Prüfung eine zeitaufwendige Untersuchung erfordert, ist sowohl vom Wortlaut als auch von Sinn und Zweck der Vorschrift her nicht möglich. Zudem würde mit einer solchen Unterscheidung erhebliche Unsicherheit in die Anwendung des § 25 Abs. 4 Satz 4 AMG hineingetragen.

Vgl. BVerfG (Zweiter Senat), Beschluss vom 8.7.1982 - 2 BvR 1187/80 -, BVerfGE 61, 82; BVerwG, Urteil vom 17.7.1980 - 7 C 101.78 -, BVerwGE 60, 297.

Schließlich ist das VG zu Recht davon ausgegangen, dass die Vorschrift des § 25 Abs. 4 Satz 4 AMG keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt. In der Rechtsprechung des BVerfG und des BVerwG ist geklärt, dass formelle und materielle Präklusionsregelungen mit Art. 19 Abs. 4 GG und den Grundrechten - hier steht Art. 12 GG inmitten - verfassungsrechtlich grundsätzlich vereinbar sind. Dies gilt sowohl für die formelle und materielle Präklusion zu Lasten drittanfechtender Beteiligter als auch für Präklusionsregelungen in bipolaren Verhältnissen (vgl. z.B. § 82 Abs. 1 Satz 3 AufenthG, § 25 Abs. 3 AsylVfG und § 41 Abs. 2 Satz 2 FlurbG).

So im Ergebnis auch Forstmann/Collatz, PharmR 2000, S. 106 (106 f.). Allgemein Stelkens/Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 6. Aufl. 2001, § 26 Rdnr. 54.

Allerdings unterliegt der Gesetzgeber bei der Normierung von Präklusionsregelungen verfassungsrechtlichen Grenzen. Insgesamt darf der gerichtliche Rechtsschutz nicht unzumutbar erschwert werden. Im Einzelnen muss der Gesetzgeber mit der Präklusionsregelung legitime Ziele verfolgen und der Eingriff durch die Präklusionsregelung geeignet, angemessen und verhältnismäßig sein. In verfahrensmäßiger Hinsicht muss die Präklusionsregelung hinreichend klar sein und das Verwaltungsverfahren im Hinblick auf die Präklusion adäquat gestaltet sein.

Siehe z.B. BVerfG, Beschlüsse vom 8.7.1982 - 2 BvR 1187/80 -, a.a.O., und vom 2.3.1993 - 1 BvR 249/92 -, BVerfGE 88, 118; BVerwG, Urteile vom 17.7.1980 - 7 C 101.78 -, a.a.O., vom 24.5.1996 - 4 A 38.95 -, NVwZ 1997, S. 489, und vom 23.4.1997 - 11 A 7.97 -, BVerwGE 104, 337.

Diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt § 25 Abs. 4 Satz 4 AMG offensichtlich. Der Gesetzgeber verfolgt mit der Präklusionsregelung des § 25 Abs. 4 Satz 4 AMG verfassungsrechtlich legitime Ziele. Die Vorschrift dient der Vereinfachung und Beschleunigung des arzneimittelrechtlichen Zulassungsverfahrens in einem doppelten Sinne. Zum einen wird durch die Präklusion das Antragsverfahren selbst vereinfacht und beschleunigt, zum anderen werden die pharmazeutischen Unternehmer durch die Vorschrift angehalten, von Anfang an entscheidungsreife Unterlagen einzureichen. Dies sind verfassungsrechtlich legitime Ziele, zumal das Arzneimittelzulassungsverfahren hochkomplex ist und eine ausgedehnte Beschäftigung der Behörde in einem einzelnen Zulassungsverfahren bei begrenzter Personalkapazität die gebotene zügige Bearbeitung anderer Zulassungsanträge beeinträchtigt.

Vgl. zum Sinn der Regelung des § 25 Abs. 4 Satz 4 AMG Bundestagsdrucksache 14/2292, S. 8; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Kommentar, Loseblatt, Stand Juni 2006, § 25 Rdnr. 65 ff. Zur verfassungsrechtlichen Legitimität der Ziele der Vereinfachung und Beschleunigung komplexer Verfahren z.B. BVerfG (Zweiter Senat), Beschluss vom 8.7.1982 - 2 BvR 1187/80 -, a.a.O.; BVerwG, Urteil vom 24.5.1996 - 4 A 38.95 -, a.a.O.

Zur Erreichung dieses Ziels ist die Vorschrift geeignet. Sie ist auch erforderlich, da ein milderes, gleich effizientes Mittel nicht ersichtlich ist. Eine andere Regelung öffnete einem unbegrenzten Nachschieben im Verwaltungs- und Klageverfahren Tür und Tor. Die Regelung ist auch verhältnismäßig. Einerseits verfolgt der Gesetzgeber mit der Regelung gewichtige öffentliche Interessen, andererseits belastet er ein antragstellendes pharmazeutisches Unternehmer nicht unangemessen. Der Antragsteller trägt die Pflicht zur Vorlage vollständiger Unterlagen (§ 22 AMG) und wird an deren Erfüllung durch das Beanstandungsverfahren nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AMG zunächst "erinnert"; erst wenn er trotz Beanstandung und Fristsetzung den Mängeln der Unterlagen nicht abhilft, trifft ihn die Präklusionsregelung. Auch führt die Regelung nicht zu einem endgültigen Rechtsverlust für den Antragsteller, denn ihm verbleibt die Möglichkeit eines neuen Zulassungsantrags. Dies mag für ihn kosten- und zeitintensiv sein, ist aber von ihm selbst zu verantworten, wenn er trotz Beanstandung nicht in der Lage ist, seinen gesetzlichen Verpflichtungen fristgerecht nachzukommen.

Die Präklusionsregelung des § 25 Abs. 4 Satz 4 AMG ist auch hinreichend klar. Sie bezieht sich eindeutig auf den Fall, dass eine Beanstandung nach § 25 Abs. 4 Satz 1 AMG ausgesprochen und die Abhilfefrist fruchtlos verstrichen ist. Auch ist die Wirkung der Präklusion eindeutig für das konkrete Antragsverfahren angeordnet. Dass die Präklusion auch in das gerichtliche Verfahren wirkt, ergibt sich hinreichend deutlich aus Sinn und Zweck der Regelung. Zunächst prüft das Gericht die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Behördenentscheidung an Hand der für das Verwaltungsverfahren geltenden Rechtsvorschriften; ferner wäre es sinnlos, eine Präklusion im Verwaltungsverfahren für rechtens zu erklären, im gerichtlichen Verfahren aber ein unbegrenztes Nachschieben zu erlauben.

Vgl. Rehmann, AMG, 2. Aufl. 2004, § 25 Rdnr. 15; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Kommentar, Loseblatt, Stand Juni 2006, § 25 Rdnr. 69; Sander, Arzneimittelrecht, Kommentar, Loseblatt, Stand März 2006, § 25 Erl. 12a; Meier/von Czettritz, PharmR 2003, S. 333 (336 ff.); Forstmann/Collatz, PharmR 2000, S. 106 (106 f.). A.A. wohl Anker, in: Deutsch/Lippert, Kommentar zum Arzneimittelgesetz, 2. Aufl. 2007, § 25 Rdnr. 7.

Schließlich und endlich ist die Regelung des § 25 Abs. 4 Satz 4 AMG auch verfahrensmäßig so eingebunden, dass der Rechtsschutz pharmazeutischer Unternehmer nicht unzumutbar verkürzt wird. Die Präklusion greift erst nach "Erinnerung" des Antragstellers an die Pflicht zur Vorlage notwendiger Unterlagen und fruchtlosem Fristablauf mit Wirkung nur für das konkrete Antragsverfahren und lässt den materiellen Zulassungsanspruch unberührt.

Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ist nicht ersichtlich. Die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen nach der Reichweite des § 25 Abs. 4 Satz 4 AMG und seiner Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz können ohne Schwierigkeiten - wie oben geschehen - im Zulassungsverfahren beantwortet werden.

Ende der Entscheidung

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